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Preuß. Husaren 1812
Abschnitt V

Es konnte am 11. oder 12 November seyn, als wir gegen Mittag in der Vorstadt von Smolensk anlangten; die Häuser derselben waren größtentheils niedergebrannt, und noch ganz in derselben Verfassung, wie wir sie Mitte August verlassen hatten; dennoch war jeder Raum, der Schutz gegen Kälte bot, von den zurückkehrenden Franzosen als Wohnung benutzt; so fanden wir neben der Straße den Keller eines abgebrannten Hauses von dem westphälischen General v. Hammerstein bewohnt. Lange suchten wir umher, ein Unterkommen zu finden, endlich bemerkten wir ein kleines noch stehen gebliebenes Haus, etwas entfernt von der Vorstadt, dorthin wird geeilt, doch auch dies war mit Franzosen besetzt. Einige von uns, die hineintreten, bemerken außer einer größeren Stube noch eine Kammer; um letztere für uns allein zu bekommen, machen wir den Franzosen weiß, daß ein General hier sein Quartier nehmen wollte; dies, mit einer imponirenden Festigkeit gesprochen, bewirkt, daß die Franzosen uns die Kammer überlassen; diese wurde nun tüchtig geheizt, und wir befanden uns in einer recht behaglichen Lage. Die Pferde waren an einen Zaun vor dem Hause angebunden, und wurden, wie bisher, mit Dachstroh gefüttert.

Unsere einzige Hoffnung war bisher gewesen, nur Smolensk zu erreichen; hier, hieß es allgemein, sollten wir hinter dem Dnieper Winterquartier beziehen, denn der Marschall Victor stehe hier mit 50,000 Mann, um uns aufzunehmen; Smolensk sey möglichst in bewohnbaren Zustand gesetzt, so wie das Land jenseits des Dniepers völlig organisirt, und überall für Lebensmittel und Fourage gesorgt. Wie groß war daher unsere Enttäuschung, als wir auch nicht das Mindeste von allen diesen Erwartungen in Erfüllung gehen sahen; mit sehr betrübten Blicken sahen wir aus unserer Kammer auf die Ruinen von Smolensk, die von der Höhe, worauf wir uns befanden, weit überblickt werden konnten; weder eine geordnete Armee noch Lebensmittel waren zu unsrer Aufnahme da, und Beider bedurften wir doch so sehr. - Einigen von uns gelang es, nach Smolensk hineinzukommen, denn die Thore waren mit französischen Gensd’armen besetzt, die den starken Andrang nach der Stadt zurückzuhalten suchten; doch auch hier waren nur Wenige so glücklich, etwas Mehl zu erhalten, die Meisten bekamen gar nichts, und hatten noch von Glück zu sagen, wenn sie, ohne beschädigt zu werden, wieder zum Thore hinausgelassen wurden. Mehrere halbverhungerte Gestalten sah ich, von Bajonetstichen getroffen, niedersinken. Nun bot sich uns eine neue Schwierigkeit dar, nämlich wie wir eilf Offiziere, die in der Kammer zusammen waren, für die Nacht einen Raum zum Liegen bekommen sollten; so lange wir auf herbeigeschafften Brettern saßen, hatten wir noch Platz, allein zum Liegen brauchte jeder mehr Raum. Es wurde aus dem dort befindlichen großen Tische und über denselben gelegten Brettern eine zweite Etage gebaut, und so in zwei übereinander angebrachten Abtheilungen niedergelegt; wir waren zwar eng, doch warm logirt. Nachdem wir hier einen Ruhetag gemacht hatten, und noch mehrere unserer Regiments-Kameraden aufgefunden, mit denen wir am folgenden Tage uns jenseits Smolensk vereinigten, gingen wir auf der Straße nach Krasnoi vorwärts, und bivouakirten neben einem Dorfe; hier traf auch der Lieutenant von Lemcke zu uns, der bisher beim General Roussel kommandirt gewesen war. Mit allen unseren Regiments-Kameraden, die noch am Leben geblieben waren, wieder vereinigt, sahen wir zu unserm großen Erstaunen einen preußischen Artillerie-Offizier zu uns kommen, der von unserem hochverehrten König uns mit Geld nachgesendet worden war. Ein jeder von uns erhielt die Hälfte seines rückständigen Gehalts; leider waren es nur Zweigroschenstücke, und daher schwer fortzubringen, denn an einen Umsatz in Gold war nicht zu denken, wie überhaupt das Geld hier schon fast keinen Werth mehr hatte, da zum Kauf nichts mehr vorhanden war. An dem darauffolgenden Tage kamen wir nach Krasnoi; hier fanden wir ein Magazin Salz und versahen uns mit demselben. In einem Hause der Vorstadt, ganz rechts der Straße, quartirten wir uns sämmtlich ein, doch waren wir kaum hier eingetroffen, als auch schon Kosaken dasselbe umschwärmten, die sich aber in den Ort selbst nicht hineinwagten. Als wir den andern Morgen sehr früh weiter auf der Straße nach Liady ritten, und gegen Abend unsern Bivouak in der Nähe des Waldes aufgeschlagen hatten, fand sich ein ungefähr 12jähriger Junge ein, der aus Ostpreußen als Fuhrmann von den Franzosen mitgenommen, nun aber ganz verlassen, halb verhungert und erfrohren war, und bat, bei uns bleiben zu dürfen; wir fingen ein altes französisches Kürassierpferd, worauf dieser Junge gesetzt ward, und mit uns marschirte. In diesem Bivouak fand auch ein Streit zwischen dem französischen Obersten, Kommandeur des 7ten Husaren-Regiments, und unsern Wachtmeister Lück, statt, der für Letzteren sehr unangenehme Folgen haben konnte, da er in seinen thätlichen Vertheidigungen zu weit gegangen war; wir suchten ihn so lange zu verbergen, bis wir am andern Tage abmarschirten.

Eine neue Aufforderung an uns, bei den Generalen zu bleiben, hauptsächlich wohl, durch unsere Nähe ihre Person und Bagage mehr zu sichern, veranlaßte, daß mehrere von uns sich wieder allein weiter begaben; so ritt ich mit dem Lieutenant von der Golz früh fort; wir langten am Nachmittage vor Orsza an. Die hier befindliche Brücke über den Dnieper war mit Gensd’armen besetzt, die auf den ordentlichen Uebergang über dieselbe strenge hielten, und nur immer eine gewisse Anzahl Menschen und Pferde hinüberließen. Man hatte uns gesagt, daß wir in Orsza einquartirt werden würden; allein wir fanden diesen Ort bereits mit Franzosen so überfüllt, daß wir nicht nur kein Quartier, sondern auch sogar keinen Raum zum Unterkommen fanden, und für’s Beste hielten, über die Brücke zurück einen Bivouak zu suchen. - Eine am Wege befindliche kleine Kapelle gab uns ein herrliches Quartier, auch verschafften unsere Diener einige Korngarben für die Pferde; hier machten wir einen Ruhetag, da mit jeder Stunde der Zudrang der Franzosen zur Brücke stärker wurde, und den Uebergang verzögerte. Der Lieutenant Stiemer und unser Regiments-Arzt wollten über das dünne Eis des Dniepers ihre Pferde führen, brachen aber gleich am Rande ein, und hatten noch von Glück zu sagen, daß sie nur durchnäßt, ohne Verlust ihrer Pferde, wieder herauskamen. Nach gemachtem Ruhetage war der Uebergang der Brücke wieder frei, und so gingen wir auf der Straße gegen Borisow weiter, doch zogen wir vor, etwas seitwärts derselben zu marschiren, wo wir noch Bauerhöfe fanden, deren Bewohner sich zwar entfernt, aber doch Korngarben für unsere Pferde zurückgelassen hatten. Ueberdem war die große Straße von den vielen Fußgängern so glatt getreten, daß sie einer Eisbahn glich; die unbedeutendsten Anhöhen auf derselben mußten mit vieler Mühe und Anstrengung erklimmt werden; öfters glitten Menschen und Pferde mehrmals wieder zurück; besonders war das Letztere bei den französischen Pferden der Fall, die bekanntlich an den Hufeisen keine Stollen haben, daher unglaublich angegriffen wurden. Hierdurch erklärt sich auch die so sehr schnelle Auflösung der französischen Kavallerie; namentlich sprach ich einen Garde-Grenadier zu Pferde nur wenige Tage darauf, als ich dies Regiment noch bei Wyasma ziemlich stark gesehen hatte, der mir versicherte, daß das ganze schöne Regiment bereits demontirt sey. Die öfteren Angriffe der Kosaken trugen auch viel zum gänzlichen Ruin der Kavallerie bei, denn es durfte das Wort: Kosak! nur etwas laut gesprochen werden, so sah sich Alles um und lief im Trabe vorwärts, wenn gleich kein Kosak auf meilenweiter Entfernung zu erblicken war; die Furcht vor denselben war ungemein groß. Die sich auf der Straße fortbewegende Kolonne bestand aus allen möglichen Truppenarten, größtentheils ohne Waffen, in ungeregelten Haufen und fabelhaften Anzügen; Jeder hatte sich, so gut er konnte, gegen die immer strenger werdende Kälte zu schützen gesucht, daher sah man Viele mit bunten Weiberröcken über die abgetragene Uniform gezogen und am Halse zugebunden; die Füße wurden mit Pelzlappen umwunden, da die Schuhe und Stiefeln bereits längst unbrauchbar geworden waren. Hunger und Verzweiflung sah man auf allen Gesichtern ausgedrückt, soviel nämlich durch den Schmutz, der wie eine Borke Gesicht, Hände und den ganzen Körper bedeckte, noch zu bemerken übrig blieb. Die langen weichselzopfartigen Kopfhare wimmelten voll Ungeziefer, womit auch die zerlumpten Kleidungsstücke besät waren. Viele fielen auf der Straße im Gehen um und waren todt; um ein gefallenes Pferd sah man häufig einen Kreis von Menschen, welche die mageren, sehnigen Fleischtheile desselben ablösten, am Feuer rösteten und mit großer Gier verzehrten. Nie hat wohl das menschliche Elend, bei so Vielen gleichzeitig, einen höheren Grad erreicht, als auf diesem Rückzuge. Kaum war einer dieser Unglücklichen niedergesunken und in eine Betäubung gefallen, als auch Andere schon bemüht waren, ihm die Bekleidung zu rauben, und hierdurch den Armen dem Tode des Erfrierens zu überliefern.

Die Offiziere unseres Regiments nebst deren Burschen waren noch alle beritten, letztere zwar größtentheils mit Conjas (Bauerpferden), auch unsere Bekleidung noch in ziemlich guten Zustande, nur unsere Kost bestand in Mehlbrei; doch die Hoffnung, bald preußischen Boden zu betreten, hielt uns aufrecht, und gab uns Muth auszudauern. So waren wir in die Gegend von Krapni gekommen, wo wir uns in einem von Bauern verlassenen Dorfe wieder so ziemlich Alle zusammengefunden hatten. In der wohlgeheizten Stube waren wir bemüht, uns zu erwärmen, als einer unsrer Kameraden hereinstürzt und uns auffordert, dem Major v. Zieten beizustehen, der auf dem Hofe mit vielen Franzosen wegen des Pferdestalles in Streit gerathen sey; augenblicklich greifen wir alle zu den Säbeln, und mit gezogenen Klingen eilen wir unserm sehr geliebten Major zu Hülfe. Sobald die Franzosen uns kommen sahen, ließen sie von ihren unrechtmäßigen Forderungen ab, und im Triumph führten wir den Major nach unserer Stube.

Eine ziemlich große Anzahl Kavallerie-Offiziere der ehemaligen großen Armee waren noch beritten, jedoch ein jeder von ihnen setzte einzeln seinen Weg fort, da die Gemeinen ohne Pferde waren und zu Fuß zerstreut umherliefen. Napoleon beschloß daher, diese Offiziere zu sammeln und in einen Trupp zu vereinigen, da es ihm ganz an Kavallerie fehlte. So entstand die Garde d’honneur [Anmerkung d. Hrsg.: eine Beschreibung der sog. “Escadron sacré” findet sich hier], wovon der König von Neapel Chef, und General Grouchy Kommandeur ward. Auch wir wurden vom Major v. Zieten aufgefordert, in dieses Korps einzutreten, doch Niemand wollte sich entschließen, seine Kameraden zu verlassen, und sich in einen ihm gänzlich fremden Offizierkreis aufnehmen zu lassen. Der Major stellte uns so dringend vor, wie vielleicht unserm Vaterlande dies nachtheilig sein könnte, wenn Keiner von uns sich zum Eintritt bei dieser Garde d’honneur meldete, da wir doch bisher Alles gethan hätten, was man von uns Preußen verlangt habe, und auch jetzt in der Noth, als noch einziges preußisches Offizier-Korps, unsere Beweitwilligkeit zeigen möchten. (Das preußische Ulanen-Regiment war weiter vor uns, und hatte von dieser Formation der Garde d’honneur keine Nachricht bekommen.) Endlich entschlossen sich die Lieutenants von Bonin und von Probst, mit mir bei diesem Korps einzutreten. Am nächsten Morgen meldeten wir uns beim General Grouchy; auf einer Plaine waren sämmtliche Offiziere der Garde d’honneur in einem Glieder aufgestellt; hier sah man von allen Kavallerie-Regimentern, sowohl französischen als baierschen, würtembergischen, polnischen und andern mehr, woraus die verschiedenen Kavallerie-Korps bestanden hatten; einzelne Offiziere, theils noch uniformirt, theils aber auch mit übergezogenen russischen Bauerkleidungen. Ein General ritt die Front hinunter, zählte die ziemlich lange Reihe, und da, wo die Mitte war, fing das zweite Glied an, welches sich sogleich hinter das erste setzen mußte. Wir drei Preußen hielten nebeneinander, und kamen in’s zweite Glied. Nun wurde diese Eskadron in vier Züge getheilt, die Generale führten dieselben, die Regiments-Kommandeurs ritten auf den Flügeln in Stelle der Unteroffiziere, die übrigen Offiziere aller Grade bildeten als Gemeine die Züge. Bevor wir abmarschirten, mußte, nach französischer Art, zu Vieren sich Jeder selbst abzählen; unsere Nebenleute waren Polen, kannten die französische Sprache wenig, und so mußte dies Abzählen mehreremale wiederholt werden, bevor wir damit in Richtigkeit kamen. Endlich wurde zu Vieren rechts abgebrochen, und auf der Straße gegen Borissow vormarschirt, jedoch kaum hatten wir eine Viertelmeile zurückgelegt, als es hieß, der Kaiser wäre hinter uns; auf der Stelle wurde rechts neben dem Wege Front gemacht, und das Gewehr aufgenommen; die letztere Scene war höchst lächerlich, denn jeder Garde d’honneur zog sein Schwert von einer andern Stelle heraus, als sein Nebenmann. - Aus Bequemlichkeit, größtentheils aber aus Körperschwäche, hatten fast Alle ihre Pallasche und Säbel an den Sätteln befestigt, um nicht von dem Druck der Degenkoppel zu leiden, und auch bequemer auf- und absteigen zu können. Daher sah man Einige rechts nach den Pistolenhalftern, Andere links nach denselben, und Viele hinter ihren Sätteln nach den Mantelsäcken greifen, um ihre Klingen zu ziehen. - Der Kaiser Napoleon saß mit dem König von Neapel in einer Fensterkutsche, die von sechs magern Rappen gezogen wurde, und fuhr längs unsrer Front hinauf; die Thürfenster waren heruntergelassen, und Napoleon dankte kopfneigend aus denselben, als ihm das vive l’empereur entgegenschallte. Sobald derselbe die Front passirt hatte, wurde das Gewehr wieder eingesteckt, und wir folgten, zu Vieren abgebrochen, unmittelbar dem Wagen. Unser Marsch ging langsam, aber doch in ziemlich geschlossener Kolonne; der Wagen des Kaisers eilte aber voraus. Es war schon dunkel geworden, als wir auf einer großen Plaine anlangten, wo bereits mehrere Truppen ihre Bivouakfeuer angemacht hatten; auch wir machten Halt, und da ich den General Grouchy etwas reden hörte, bat ich meine beiden Kameraden, auf der Stelle halten zu bleiben, um mich zu erwarten, indem ich ungefähr 50 Schritt mehr vorritt, damit ich die Befehle des Generals deutlicher vernehmen könnte. Es wurde von demselben befohlen, den folgenden Morgen um 7 Uhr sich hier zu versammeln, um dann weiter zu marschiren; sogleich kehrte ich wieder zurück, fand aber weder meine beiden Kameraden, noch meinen Diener auf dem Platz, wo ich sie verlassen hatte. Laut rief ich deren Namen, ohne Antwort zu erhalten, nun ritt ich rechts, dann links die Bivouakfeuer entlang, um sie aufzusuchen, und nachdem ich über eine Stunde im Dunkeln herumgeirrt war, gab ich die Hoffnung auf, sie aufzufinden. Ganz verlassen, und nur mit dem wenigen Mehl in dem Quersack hinter meinem Sattel versehen, war meine Lage sehr betrübt; in dumpfer Niedergeschlagenheit saß ich beim nächsten Feuer ab, und indem ich über die traurigen Folgen meines Alleinseyns nachdenke, und fast entschlossen war, die ganze Nacht über mit dem Zügel in der Hand dort stehen zu bleiben, kommt ein holländischer Husaren-Offizier, derselbe, den ich bei Malo-Jaroslowez gesprochen hatte, zu mir herangeritten, und diesem erzählte ich meine verlassene Lage; auch er klagt mir, daß ihn die Unannehmlichkeit betroffen habe, seinen Diener ebenfalls zu verlieren, aber noch eine Ordonnanz sey bei ihm; deshalb forderte er mich auf, bei ihm zu bleiben, da er in der Nähe einen guten Bivouakplatz gefunden, und seine Ordonnanz mein Pferd mit in Aufsicht nehmen solle. Dies Anerbieten nahm ich mit Dank an; bald trafen wir in eine hölzerne Scheune ein, die zwar ohne Dach war, doch aber einigen Schutz gegen den Wind abgab, zogen unsere Pferde hinein, fanden dieselbe jedoch schon ziemlich mit Menschen und Pferden angefüllt. Nachdem wir unsere Pferde in die Reihe der übrigen eingedrängt hatten, legten wir usn hinter dieselben; es war recht kalt, und gern wäre ich an das in meiner Nähe brennende Feuer getreten, allein dies war ganz von Menschen umringt, und für den Augenblick an kein Herankommen zu denken. Nach langem Warten wurde endlich ein Platz leer, sogleich drängte ich mich auf denselben, doch wurde mir von den Herumstehenden, welches nur gemeine Soldaten waren, gesagt, wenn ich kein Holz zum Feuer mitbringe, könne ich auch an demselben keinen Platz bekommen. Wie sehr empfindlich mir eine solche Aeußerung aus dem Munde gemeiner Soldaten war, kann man sich leicht denken. Alle Subordination hatte bereits aufgehört; Jeder war nur für sich selbst besorgt, um nicht zu erfrieren und zu verhungern. Tief gekränkt trat ich, in meinen Mantel gewickelt, zurück, und legte mich, entfernt vom Feuer, nieder. Der holländische Offizier lag neben mir und bat mich, da er sehr müde und hungrig war, und gar nichts zu leben bei sich hatte, ihm von meinem Mehl einen Brei zu kochen; derselbe schlief nun sogleich ein, und ob ich zwar in meiner jetzigen Stimmung keinen Hunger fühlte, so wollte ich doch aus Dank für seine freundliche Aufnahme seinen Wunsch erfüllen, deshalb forderte ich die Ordonnanz desselben auf, mir Wasser zu holen; allein diese weigerte sich, zu gehorsamen, obgleich ich derselben versicherte, daß es nicht für mich, sondern für seinen Offizier zum Mehlbrei bestimmt sey, der beim Erwachen gewiß mit Sehnsucht danach fragen würde. Nach Verlauf einer halben Stunde verstand sich endlich ein holländischer Infanterist nach vielem Zureden und einigen Franks Trinkgeld, mir Wasser zu holen; ein französischer Artilleriekapitain in meiner Nähe lieh seine Kasserolle, worin der Holländer das Wasser brachte; obgleich etwas entfernt vom Feuer, sahe ich eine grünliche Flüssigkeit statt Wasser in der Kasserolle, allein der Holländer versicherte mir, daß er kein besseres Wasser habe bekommen können. Es bliebe also nichts übrig, als das Mehl hineinzuschütten und an’s Feuer zu setzen, wo es mir vorher gelungen war, ein Stück Holz heranzuholen. Der Mehlbrei wurde durch das schlammige Wasser grünlich-grau, und es gehörte wahrlich viel Hunger dazu, denselben zu genießen. - Alles war zu sehr mit Menschen und Pferden bedeckt, als daß das wenige Wasser gut bleiben konnte; viele Pferde, die aus Durst in diese stehenden Wasserdümpel hineingegangen waren, blieben aus Mattigkeit in denselben liegen, und krepirten dort; dadurch bekam das Wasser noch einen ekelhaften Geruch. - Der holländische Offizier erwachte, und verzehrte den Mehlbrei mit vielem Appetit; ich hatte ihm denselben ganz überlassen, weil sowohl Ekel als Aerger meinen Hunger verscheuchten; nun erzählte ich diesem Kameraden, daß seine Ordonnanz kein Wasser habe holen wollen, er verwies es diesem Menschen, doch schien dies keine Eindruck auf denselben zu machen. - Es konnte wohl 10 Uhr Abends geworden seyn, als ich zur Scheune heraustrat, und gleich vor derselben mehrere Feuer bemerkte, um welche Soldaten mit weißen Mänteln saßen; nur die polnische Kavallerie trug dergleichen; ich trat daher näher hinzu, und erkenne mehrere polnische Ulanen-Offiziere unserer Brigade, und namentlich auch den, mit welchem ich die Patrouille von Porietschie nach dem Schlosse des Fürsten Potemkin gemacht hatte. Kaum war derselbe in Kenntnis meiner unangenehmen Lage, so beeilte er sich mit großer Freundlichkeit, mir den besten Platz an seinem Feuer bereiten zu lassen; was irgend zum Essen aufzutreiben war, wurde mir gereicht, und ganz unerwartet befand ich mich in einem Kreise mehrerer dieser Offiziere in einer angenehmen Unterhaltung. Auch gab mir mein polnischer Freund die Versicherung, daß, wenn sein Bursche von der Fouragirung zurückkehrte, auch für mein Pferd gesorgt werden solle. Mit neuem Muth belebte mich diese kameradschaftliche Aufnahme, und alle trüben Gedanken verflogen in der Nähe dieser Freunde in der Noth. Der zurückgekommene Diener brachte einige Gerstengarben; auch ich erhielt einen Theil davon, und unter meinem Mantel versteckt, reichte ich dies Futter nur handvoll meinem Pferde, damit die Nebenstehenden mir davon nichts rauben konnten. Auf einem schönen warmen Platz am Feuer der Polen schlafe ich bald ein, doch nach einigen Stunden erwache ich wieder, gehe sogleich zu meinem Pferde, und finde selbiges ruhig und angebunden stehen. Erst am frühen Morgen, als weiter marschirt werden soll, will ich mein Pferd aus der Scheune holen: doch wer kann sich meinen Schreck denken, als ich dasselbe dort nicht mehr finde. Ueberall frage ich nach meinem Pferde, beschreibe die Farbe desselben, und da meine Säbeltasche an den Sattel gebunden war, konnte es leicht herausgefunden werden, allein umsonst war jede Nachforschung; in meiner Nähe bivouakirte ein Trainpark, alle Pferde desselben sehe ich genau durch und laufe über eine Stunde nach allen Seiten herum, aber nirgends finde ich mein Pferd. Die guten polnischen Offiziere hätten mir so gern geholfen, allein sie hatten kein Pferd übrig. - Abermals war ich in eine fast verzweiflungsvolle Lage versetzt; mitten in einem Lande, wo Alles feindlich gesonnen, unter einer Rotte von Franzosen, die vor Hunger sich Alles erlaubten, und leicht den Einzelnen niedermachten, der noch etwas bei sich führte, was ihre Habsucht reizte, überdem eine fürchterliche Kälte, und auf dem Wege eine Glätte, daß man kaum gehen konnte, ich selbst erschöpft und kraftlos. Doch hier halfen keine Betrachtungen; es handelte sich um’s Leben, und dies zu erhalten, liegt in jeder Menschenbrust. - Meinen Säbel und Mantelsack unter einem Arm, und unter dem andern den wenig inhaltreichen Mehlbeutel, ging ich betrübt nach der Richtung hin, wo ich die meisten Franzosen hinziehen sah, indem sich erwarten ließ, daß dort eine Brücke oder Defilee seyn müsse, wo ich meine beiden Regiments-Kameraden zu finden hoffen konnte. - Wahrscheinlich hatte die Ordonnanz des holländischen Offiziers, aus Rache wegen meiner Anzeige, daß er kein Wasser geholt habe, meine Braunen losgebunden, und zur Scheune hinausgejagt, denn auf eine andere Weise konnte ich mir den Verlust des Pferdes nicht erklären. - Sehr ermattet kam ich endlich an eine Brücke, wo Alles hinüberzog, was in meiner Nähe die Nacht bivouakirt hatte; hier blieb ich stehen, und beobachtete Alles genau, um vielleicht mein Pferd zu entdecken, allein über eine Stunde verging, ohne daß ich dasselbe gewahr ward. Da sehe ich meine beiden Kameraden auf mich zukommen; so sehr ich mich auch über deren Gegenwar freuete, konnte ich doch nicht unterlassen, ihnen die bittersten Vorwürfe zu machen, mich am vorigen Abend verlassen zu haben. Sie hatten geglaubt, daß ich mich bald wieder zu ihnen finden würde, und nicht geahnet, welcher große Verlust mir hierdurch geworden war. Der Lieutenant von Bonin hatte zufällig ein kleines Conja aufgefangen, dies gab er mir zum Besteigen; obgleich dasselbe sehr mager und klein war, so daß ich mit den Füßen fast die Erde berührte, gewährte mir das Reiten auf demselben eine große Erleichterung. - Die Hoffnung, mein Pferd wiederzubekommen, hatte ich nun völlig aufgegeben; wir zogen daher weiter, und erreichten gegen Mittag ein kleines Wäldchen, um etwas zu ruhen. Der Lieutenant von Bonin hatte Gelegenheit gehabt, einen Hammel zu kaufen, dieser wurde hier theilweis gebraten und schmeckte vortrefflich. Am Mittage brachen wir wieder auf und erreichten unsere sämmtlichen anderen Regiments-Kameraden; es wurde nun beschlossen, bei denselben zu bleiben, und nicht zur Garde d’honneur zurückzukehren, da ich eigentlich als unberitten betrachtet werden mußte. An den ersten Häusern der Vorstadt von Borissow bivouakirten wir, und wollten den folgenden Morgen die Beresina passiren. Man hatte uns gesagt, daß die eigentliche Brücke über diesen Fluß bereits früher von den Russen abgebrannt worden sey, der Kaiser Napoleon habe aber zwei neue Brücken schlagen lassen. Die sehr mißliche Lage, in welcher sich hier die Ueberbleibsel der großen Armee befanden, ahnten wir gar nicht, indem wir die russischen regulairen Truppen noch weit entfernt hinter uns glaubten; wir ritten daher rechts von Borissow dem Wege nach, worauf Alles weiterzog, und gelangten gegen Mittag an die Brücken der Beresina; hier fanden wir aber eine so unzählige Menge Menschen, Pferde und Wagen, die hinüber wollten, daß mehrere Stunden vergangen seyn würden, bevor wir an die Reihe zum Uebergehen gekommen wären, daher folgten wir dem Vorschlage des Majors v. Zieten, und eilten nach dem eine Viertelmeile entfernt liegenden Dorfe, welches wir rechts des Weges liegen sahen. Obgleich alle Einwohner dieses Dorf verlassen hatten, so fanden wir in den gut erhaltenen Häusern noch ein vortreffliches Unterkommen, und für unsere Pferde einige Korngarben. Alle in einem Bauerhofe einquartirt, wo die Stube tüchtig geheizt wurde, befanden wir uns recht behaglich; einige Bohnen, die wir vorgefunden hatten, ließen wir kochen, und nach diesem eingenommenen Mahl überließen wir uns auf weichem Stroh einer wohlthätigen Ruhe.