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Quellen
Franz. Armee
Abschnitt VI

Es ist viel und mancherlei, und wie sich’s von selbst versteht, vornehmlich in Deutschland, über dieses System geschrieben worden, aber man hat es immer aus einem zu beschränkten Gesichtspunkt angesehen, wenn man nur das sich zum Augenmerk nahm, was bis dahin Taktik im eigentlichen Sinne hieß. Dieses Wort paßte gar nicht für die neue Erscheinung, und führte zunächst in den Irrthum, die Ursachen der militärischen Ereignisse in der Schultaktik aufzusuchen. Da gab es nun zwei Extreme in der Beurtheilung der französischen Taktik: einige Beurtheiler erhoben sie zu hoch, und behaupteten, sie schließe Geheimnisse der taktischen Wissenschaft in sich, welche bisher allen neueren Völkern unbekannt gewesen; andere setzten sie zu sehr herab, und legten es zu sehr darauf an, die neue Wissenschaft als nichtig und unbedeutend darzustellen. Da die Leidenschaft die unbedingten Bewunderer, wie die uneingeschränkten Tadler irre geführt hat, so ist die Wahrheit immer verfehlt worden, und der stete Fehler dieser wie jener ist gewesen, daß sie nicht anzeigten, worin bei den Franzosen das neue System bestehe, sondern, daß sie nur stets wiederholten, sie sey nicht das, was bei ihnen in der Taktik angenommen sey. Das Lob, wie der Tadel sind also immer nur verneinend gewesen, und haben der Wissenschaft keinen Zuwachs verschafft.

Die Tadler waren entweder Exerciermeister, oder Taktiker, in der höheren Bedeutung des Worts. Da die ersten gesehen hatten, daß die Franzosen nicht fertig zu exercieren und auf dem Felde nicht geschickt zu manövrieren verstanden, versicherten sie, sie hätten keine Taktik, und sprachen von den neuen Verfahrungsarten mit der größten Verachtung. Wie oft hat man nicht die andern sagen hören, daß das Kriegssystem der Franzosen nichts Wissenschaftliches darbiete, daß die Kriegswissenschaft durch sie keine Fortschritte gemacht habe, daß ihre Operationen allen Regeln zuwieder laufen; wie oft haben sie nicht wiederholt: die Taktik der Franzosen sey keine; oder auch, sie hätten gar keine Taktik. Die preußische Schule war es besonders, welche, unter der Versicherung, sie besitze allein und ausschließlich die Geheimnisse der wahren Wissenschaft, die Zeitschriften mit ihren Demonstrationen gegen die Franzosen anfüllte (Minerva von Archenholz). Wenn sie nur die Wissenschaft für eine solche anerkannten, welche sie erlernt hatten, nur das für wissenschaftlich gelten ließen, was in ihren Militärreglements geschrieben stand, so hatten sie Recht. Ob sie aber in diesem Räsonnement Recht hatten, ist eine andere Frage. War es hinreichend, zu beweisen, daß die Franzosen nicht nach den Regeln der Schule ihre Siege erfochten hatten? Und hätte man dies auch erwiesen, hatte man dadurch auch dargethan, daß ihre Siege nicht Siege gewesen? Die Thatsachen sprachen; die Wirkungen waren wahrhaft, und man hätte daraus auf wahrhafte Ursachen im System der Franzosen schließen sollen. Man hätte sollen die Begebenheiten zergliedern, und daraus Grundsätze herleiten, statt mit Gemeinplätzen der Schultheorie um sich zu werfen. Wenn man die Thatsachen aufrichtig eingestanden, und aus einander gesetzt hätte, was geschehen war, so hätte man zugleich angedeutet, was zu thun Noth that. Die Schlendrianmenschen sahen das Einfache für mangelhaft, gemein und tief unter sich liegend an; von allen theoretischen Wissen, hatten sie keine Ahndung von dem, was in der Praxis brauchbar war, und da sie ihren Blick nicht über ihre Alltagsübungen hinaus erheben konnten, so machten sie den Schluß: da, wo sie nichts sähen, sey auch nichts vorhanden. Die hohe Taktik der Franzosen lag diesen Kunstmännern weit aus dem Horizont. Während sie demonstrirten, wurden sie geschlagen; und es wäre besser gewesen, zu schlagen, statt zu demonstriren, und im schlimmsten Falle, auch noch besser geschlagen zu werden, ohne zu demonstriren. Aber es war einmal der Charakter des hoch verfeinerten Zeitalters, mehr zu wissen, als zu verstehen, mehr zu sprechen, als zu thun.

Die Lobredner des neuen Systems haben der Wissenschaft nicht mehr genützt, als seine Tadler. Vor Bewunderung entzückt über die erhaltenen Vortheile, schließen sie auf bewunderungswürdige taktische Mittel, aber sie wissen sie nicht anzugeben, oder sie irren sich in Betreff derer, die sie anführen; in ihrer Beweisführung ist gewöhnlich der Umfang der Wirkungen mit dem Umfange der Wissenschaft verwechselt; oft vertritt bei ihnen die Größe und Stärke der Armeen, die Stelle der Größe und des Gehalts der Unternehmungen. Die Neuheit der Resultate bürgt ihnen für die Neuheit der Grundsätze, die Fortschritte der Heere überzeugen sie von den Fortschritten der Wissenschaft, und ihren Enthusiasmus geben sie für Beweise. In diese Klasse von Beurtheilern gehören die französischen und andere Tageschriftsteller; ihre Quellen sind die officiellen Berichte der Franzosen. Hier kann nur Einseitigkeit statt finden, da die Gegner der Franzosen nicht sprechen, und nichts zur Erörterung der Wahrheit beitragen. Einige deutsche Schriftsteller haben die Zahl dieser Beurtheiler vermehrt. Es ist der Mühe werth, einige der bekanntesten Angaben, die man bei ihnen findet, näher zu beleuchten.

Einige Beurtheiler haben für eins der siegbringenden Mittel der neuen Kriegskunst den Chargierschritt ausgegeben. Dieser von den Preußen erfundene, und unter dem Nahmen Dublirschritt gebrauchte Schritt, ist in Frankreich vorzugsweise vor jedem andern militärischen Schritt eingeführt worden, weil er am leichtesten zu erlernen und auszuüben ist, indem er der dem Menschen natürlichste Schritt und der zwangloseste ist; dieser paßte am besten für die Art von Unterricht, den der französische Soldat erhält, so wie für seinen Charakter, und seinen Körperbau. Dies ist beynahe der einzige Schulschritt, dessen die Franzosen sich bey der Exekution ihrer Bewegungen bedienen; und die Wahrheit zu sagen, sie wissen fast keinen andern zu machen, sie mögen exercieren, die Wache beziehen, oder irgend etwas ausführen. Es steht ihnen sogar ganz sonderbar, wenn sie bei ihren Prunkparaden den ernsten Schritt, welchen sie den verlängerten, oder gewöhnlichen nennen, anbringen wollen; sehr leicht verlieren sie seine Kadenz, und fallen in ihren Lieblingsschritt zurück. Durch die Trommel unterstützt, welche den trippelnden Takt des letztern anzeigt, haben sie ihn stets im Ohre, und die Füße fallen immer wieder in denselben hinein. Ihre besten Instrumental-Märsche und ihre charaktervollsten Stücke auf der Trommel gründen sich immer auf diesen Schritt. Die Wirbel des Chargierschritts, welche mit jedem Augenblick voller werden, und den wiederhohlten Schlägen der Sturmglocke gleichen, knüpfen sich in der Einbildungskraft des französischen Soldaten an den Gedanken des siegreichen Erfolgs und des entscheidenden Ausganges des Gefechtes. Bei diesen Tönen glaubt er die Stimme des Triumphs zu hören, er fühlte sich mächtig aufgemuntert, und stürzt sich vorwärts. In den officiellen Berichten der Franzosen spielt der Chargierschritt stets eine wichtige Rolle, und scheint bei den erhaltenen Vortheilen zu entscheiden. Aber man würde hier das Wort für die Sache nehmen; die siegreichen Resultate der Franzosen sind immer vom Chargierschritt begleitet, weil er allenthalben angebracht wird, aber sie werden nicht durch ihn erhalten und sind ihm nicht beizumessen. Wenn die Franzosen, nachdem sie im Chargierschritt heranmarschiert sind, zurückgeschlagen werden, so thut man dieses Schritts nicht Erwähnung, eben weil man nicht der erlittenen Niederlage erwähnt. Ohnstreitig ist dieser Schritt bei den französischen Soldaten ein moralisches Mittel geworden, aber sein taktischer Werth ist nichts weniger als bedeutend. Wenn der verlängerte Schritt (pas allongé) der gewöhnliche Schritt der Franzosen wäre, so würde der officielle Sprachgebrauch ihn ebenfalls mit jedem erhaltenen Vortheil in Verbindung setzen, denn am Ende muß jede Bewegung durch einen Schritt ausgeführt werden. Aber dennoch würde der verlängerte Schritt kein wesentliches Erfordernis zum Siege ausmachen. Eine Armee, die den Chargierschritt bei sich so vorherrschend machen wollte, als er es bei der französischen ist, würde sich deshalb nicht des Sieges versichern, und die Franzosen würden ihn abschaffen können, ohne daß ihr Kriegssystem und die Würkungen, die es zur Folge hat dadurch eine Veränderung erleiden würden.

Andere Beurtheiler haben sich eingebildet, daß der Grund der Ueberlegenheit der Franzosen, in dem gut gezielten Feuer der Infanterie liegen müsse. Sie haben versichert, die französischen Infanteristen legten besser an und zielten besser als die Infanteristen der andern Mächte. Diese Angabe wird durch die Thatsache widerlegt. Man giebt zwar in den Depots die Regel an; auf den halben Leib eines Mannes anzuschlagen, aber höchst wahrscheinlich tödtet der französische Infanterist weniger Menschen als jeder andere Fußsoldat, denn er ist unter allen Soldaten auf der Welt wohl der mindest geschickte beim Laden des Gewehrs. Dies muß er seyn, weil er am wenigsten Unterricht, und die wenigste mechanische Fertigkeit hat. Aber, wenn er auch nach seiner Verfahrungsweise so unterrichtet als möglich wäre, so würde die Würkung seiner Flintenschüsse immer außer Verhältnis mit denen, welche andre Soldaten thun, stehen, weil die Art des Ladens bei der französischen Armee die unbequemste und langsamste ist, folglich die unpassendste für einen wenig geübten Soldaten überhaupt, für den französischen Charakter insbesondere, und endlich diejenige, die die mindeste Würkung hervorbringen muß. Man hat in Frankreich die alte Bauart der Gewehre, und folglich auch die alte Art sie zu laden, beibehalten. Der Franzose kehrt noch den Ladestock um, weil der cylindrische Ladestock nicht nachgeahmt worden ist; er beißt die Patrone noch ab, weil sie nicht, wie bei den Preußen, durch eine, unten im Laufe angebrachte, Klinge zerschnitten wird; er schüttet noch Pulver auf die Pfanne, weil diese sich nicht selbst, mittelst eines trichterförmig gebohrten Zündlochs mit Pulver anfüllt. Im Gliede macht der französische Infanterist, um die Patrone in den Lauf und den Ladestock auf und nieder zu bringen, die unbequeme Viertelwendung, wobei der Kolben auf der linken Seite gestreckt wird. Das gesammte Laden geschieht in zwölf Tempos nach eben so viel Commando’s, und man kann annehmen, daß der Franzose nur eine Ladung vollführt, während der Preuße ihrer gegen Drei vollendet, und der Oesterreicher etwa Zwei. So langsam der Franzose beim Laden ist, eben so wenig ist er geschickt im Treffen. Und wie wollte er dies seyn? Es ist unerhört, daß der Recrute, wie er jetzt unterrichtet wird, mit Patronen schießen lerne. Und wenn man auch Zeit dazu hätte, so würde man sie sich doch nicht nehmen, weil man keinen Werth auf ein Verfahren setzt, welches im neuen Kriegssystem keine Rolle spielt, noch spielen soll; weil der Grundsatz jenes Generals im Heilsausschusse von 1793 das Nichtschießen betreffend, allgemeiner Grundsatz und feststehende Meinung bei der Armee ist, und weil endlich das Schießen für die erforderlichen Fälle besser aus der Uebung zu erlernen ist. Da außerdem der Gebrauch der Patronen von Holz, oder Kleien, bei dem Lernen in Frankreich unbekannt ist, so ist der Soldat oft sehr in Verlegenheit, wenn er mit der Pulverpatrone das anwenden soll, was man ihm im Depot durch eine bloße nachahmende Bewegung mit der Hand zu machen beigebracht hat. Der französische Infanterist hat also weder in der Geschwindigkeit, noch im Zielen eine Ueberlegenheit, und in der Schlacht bleibt ihm, wie den Soldaten aller andern Armeen, nichts übrig, als nach Gutdünken zu schießen, und die Nothwendigkeit der Wehr sich zur Richtschnur zu machen. Man hat bemerken wollen, daß das willkührliche Feuer bei den Franzosen, welches dem Heckenfeuer oder Rottenfeuer der andern Armeen entspricht, besser unterhalten und dauernder gemacht wird, als bei diesen. Wenn dieses ist, so liegt der Grund davon vorzüglich in der Einsicht der Individuen und in dem so leichten und einfachen Grundsatz, daß Niemand sein Gewehr anders als in dem Augenblick losschießen soll, wo sein Nachbar das seine auf die linke Seite zum Laden herumbringt. Aber im Ganzen wird man nicht Eine Schlacht anführen können, wo die Vortrefflichkeit der Bataillon- oder Pelottonfeuer, oder überhaupt ihre wohlgezielte Salve ein entscheidendes Resultat hervorgebracht hätte; die Art den Krieg heutiges Tages zu führen, macht dieses Mittel entbehrlich, und die französischen Berichte haben die Ueberlegenheit der französischen Infanterie, wiewohl sie sie für die erste der Welt erklärt haben, nie in ihre Schießgeschicklichkeit gesetzt. Seitdem die Beine den Ausgang der Schlachten und der Feldzüge entscheiden, spielen die Flintenschüsse nur eine Nebenrolle.

Andere haben die Artillerie als die Ursache der von den Franzosen erhaltenen Vortheile angeführt. Die französische Artillerie genoß von jeher, sowohl zu Hause als im Auslande, des Ruhms einer ausgezeichneten Geschicklichkeit und Wissenschaft. Man würde Unrecht haben, wenn man dieses buchstäblich auf die heutige Artillerie anwenden wollte. Ohne ihrem Verdienst zu nahe zu treten, so kann sie sich, so wie sie gegenwärtig beschaffen ist, nicht mit der ehemaligen Royal-Artillerie messen. Sie hat zwar durch die Auswanderung weniger Offiziere, als irgend ein anderer, verloren, aber ihre verhältnislose Vermehrung ist ihr sehr nachtheilig gewesen; der Unterricht hat bei dieser Waffe weit mehr gelitten, als bei irgend einer Waffe der französischen Landarmee, weil er auf weit mehr wissenschaftlichen Kenntnissen beruht, und weit mehr Studium, Fleiß und Uebung erfordert, als bei irgend einer Art von Dienst nöthig ist. Die Vermehrung der Artillerie hielt mit der Vergrößerung der ganzen übrigen Armee Schritt, und vielleicht hatte sie noch in einem stärkeren Verhältnisse statt, als bei irgend einer andern Waffenart der Fall war. In den ersten Feldzügen ging die unerfahrene und ungeübte Infanterie nur dann mit Zutrauen vorwärts, wenn sie sich von einer mächtigen Artillerie beschützt sah, daher Dümouriez diese die prätorianische Leibwache der Revolution nannte. Allenthalben wurden Kanonen angebracht, auf Vorposten und bei Tirailleurgefechten, an der Spitze der Cavallerie und auf den Gipfeln der Berge. In den ersten Zeiten der Revolution lieferten die Departements mit ihren Bataillons Nationalgarden auch Kanonier-Kompagnien; man bildete eben so geschwinde Artilleristen als Musketiere, und jene traten mit eben so weniger Kenntnis vom Geschützdienst, als diese vom Gewehr, ins Feld. Die drei alten Regimenter der Royal-Artillerie waren bald bis zu zehn vermehrt, und sie sind hernach auf acht festgestellt worden, welche, auf dem ganz completten Fuß, über zwanzigtausend Mann ausmachen. Der Minister Narbonne schlug der Nationalversammlung eine reitende Artillerie vor, und bald bestand diese Waffenart aus sechs Regimentern. In den ersten Kriegsversuchen der Franzosen war es die Artillerie, welche entschied, und die Flintenpatronen ersparte. Seitdem hat sie eine wichtige Rolle gespielt, aber alle diejenigen, die gegen die Franzosen gefochten haben, kommen darin ziemlich überein, daß sie gestehen: sie hätten von der Geschicklichkeit dieser Waffe keinen, ihrem hohen Ruf entsprechenden, Begriff erhalten. Schüsse in’s Blaue gethan, und übel gerichtet; Kugeln, die zu hoch oder zu niedrig fliegen, um zu schaden, haben bisher bey der französischen Artillerie nicht ungewöhnlicher geschienen, als bei den Artillerien fremder Heere. Indessen zeigt diese Waffenart der Franzosen eine gewisse Selbstzuversicht, und sie weiß Verfahrungsarten anzuwenden, wie nur eine lange Kriegserfahrung sie geben kann. Diese Ueberlegenheit mit der der Geschützzahl verbunden, hat weit öfter entschieden, als die theoretische Bildung, die man der französischen Artillerie beilegt. Oesterreicher, Russen, Preußen, alle Nationen, die mit den Franzosen gefochten haben, haben nur eine Stimme hierüber.