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Franz. Armee
Abschnitt V

Hier ist es der Ort von der französischen Disciplin einen Begriff zu geben. Bekanntlich war sie zur Zeit des siebenjährigen Krieges der Gegenstand des unerschöpflichen Spottes der Deutschen; jenes nähere Verhältnis, welches sie zwischen Offizier und Soldaten zuläßt, und welches in Deutschland unbekannt ist, hat dort Stoff zu vielen hundert Anekdoten auf Kosten der Franzosen gegeben. Ihre Disciplin war da wie eine Undisciplin, und ihre Subordination wie eine vollständige Insubordination betrachtet. Ihre Strafen hat man als kindisch und für Soldaten entehrend angesehen. Imletzten Kriege hat diese Disciplin sich an den Deutschen grausam gerächt, denn dem Wesen nach ist sie in denselben gewesen, was sie im siebenjährigen war, und das mußte sie seyn, weil sie im einen wie im andern auf den National-Charakter gegründet war. Der Herzog von Choiseuil und der Graf St. Germain hatten umsonst versucht die deutsche Kriegszucht einzuführen, mit Stock und Ruthen; sie ahndeten nicht, daß sie, indem sie gegen den Nationalgeist anstießen, den Soldaten vorbereiteten, sich mit ganzer Seele an die Revolution zu hängen. Mit dieser war die Disciplin gänzlich verschwunden; aber der Krieg machte ihre Nothwendigkeit fühlbar, und die Disciplin hat sich nach und nach mit der Taktik entwickelt, welche der Krieg lehrte, und ganz praktisch, wie diese, enthält sie nichts, das dem Nationalgeiste fremd, oder blos in der Theorie statthaft wäre.

Man könnte die französische Disciplin, wie die Taktik, in die hohe und niedere eintheilen. Die Generale geben das Beispiel der ersten durch eine grenzenlose Unterwerfung in die höheren Befehle. Diese Disciplin ist diejenige, welche Beziehung hat auf die directe Ausübung dessen, was sie fordert. Alle in diesem Sinn begangene Fehler sind Verbrechen, und das militärische Gesetzbuch der Franzosen ist das strengste von allen Gesetzbüchern: es bestraft Vergehen mit dem Tode, welche anderwärts nur Zwang- oder Zuchtstrafen nach sich ziehen würden. Der Militär, der von seinem Posten sich entfernt, der die Kriegsparole vergißt oder verwechselt, der vor dem Feinde seinem Obern nicht gehorcht, wird bei den Franzosen mit dem Tode bestraft. Die niedere Disciplin ist diejenige, welche die Fehler des Dienstdetails, der äußeren Haltung, der Reglementar-Ordnung und der individuellen Aufführung, betrift, diese straft mit Nachsicht, und etwas Humanes, das bey allen andern Armeen unbekannt ist, charakterisirt vorzüglich ihren Geist.

Die französische Armee wird ohne Stockschläge, Spießruthen und Steigriemen regiert, und das Rohr ist nicht das Unterscheidungszeichen derer, die befehlen. Sie wir ohne körperliche Strafe geführt, das kann sie, und muß sie, weil sie zur obersten Triebfeder die Ehre hat. Hat der Soldat einen Fehler begangen, so macht man ich schaamroth, man giebt ihm Verweise, man greift seine Eigenliebe an; soll er härter bestraft werden, so wird seine Freiheit beschränkt: Verbot auszugehen, Arrest, Gefängnis sind ihm empfindliche Züchtigungen. Man sieht bisweilen einen französischen Soldaten, der mit der Feldmütze, anstatt des Huts, die Wache bezieht, der mit umgekehrter Uniform, oder mit dem Gewehrkolben oberwärts getragen, seinem Regimente folgt; jedem andern Soldaten würden solche Strafen lächerlich seyn; dem französischen sind sie schmerzlich. Er wird nicht dressirt, sondern menschlich gezogen. Für Fälle, wo zwischen Ehre und Schande kein Mittelweg ist, spricht der Militär-Codex den Tod aus. Hieher gehören nicht die Ereignisse, die der Lauf des Gefechts herbeiführt; Raub, Gewaltthätigkeit und Vernichtung sind hier nicht Schandthaten, sondern Aeußerungen des schrecklichsten aller Gewerbe, und dieses Gewerbe wird vom französischen Soldaten, gerade weil er es ganz treibt, am schrecklichsten geübt. Aber wenn Gefecht und Treffen vorüber sind, so ist Diebstahl und Raub, an Soldaten und am Einwohner begangen, so unerhört in der französischen Armee, als bei andern Heeren gewöhnlich. In allen Ländern, wo der Krieg den französischen Soldaten hinführte, war er außer dem Gefecht, nach der Aussage ihrer Einwohner, der mindest drückende, der menschlichste, der erträglichste; so daß man es in Deutschland als Sprüchwort unter den Einwohnern angenommen findet: drei Franzosen seyen besser zu beherbergen, als ein Deutscher. Der französische Soldat ist stolz auf seinen Stand; er verlangt Achtung, weil er an sie gewöhnt ist, und er erzeugt auch Achtung. Der Offizier, der General, sieht im gemeinen Soldaten den Gefährten seiner Arbeiten und nennt ihn seinen Cameraden. Die Sprache verstattet zwischen General und Trommelschläger nur dasselbe Vous zur Anrede, welches zwischen beiden die Erinnerung der Gleichheit außer Reih und Glied in Andenken hält, und als das Du eine Grille der Revolution war, so war bei dem veränderten Worte, das Verhältnis immer dasselbe. Kurz der Obere ehrt seinen Stand im Untergebenen; was der Stand mit sich führt, ist beiden gemein: Gefahr, Entbehrung, auch Ehre. Der Unterschied ist nur für die Pflichten der Dienstordnung vorhanden. Der Befehlshaber, der immer an der  Spitze ist; der Offizier, der zu Fuß geht, der wie der Soldat seine Habseligkeit auf dem Rücken trägt, der beim Angriff der erste, beim Rückzuge der letzte ist, erhält vollen Gehorsam in Reih und Glied, und sein Beispiel ist Gesetz; außer dem Gliede, wo alle gleich sind, tritt gegenseitige Achtung ein; daher ist es nicht Neues, daß der Offizier außer dem Dienst, um einen Privatstreit mit einem Untergebenen, der ein Ehrenmann ist, zu beenden, den Degen in die Faust nimmt un ihm Genugthuung giebt. Dies ist nur bei einer Armee, wie die französische, möglich; jede andere würde aufgelöst werden. Der ununterbrochene Zustand des Krieges, die Bivacks, der immer wiederkehrende Mangel an Lebensmitteln und Bedürfnissen aller Art, die stete Veranlassung zu Raub und Gewaltthätigkeit, schwächen die Mannszucht und hätten bey jeder andern Armee sie vielleicht ganz aufgelöst, denn es ist unmöglich dem Menschen etwas entgegenzusetzen, welcher in der Gefahr dem Bedürfnis zu unterliegen, der Stimme des Instinkts zu seiner Selbsterhaltung gehorcht; er ist in den Stand der Natur getreten, kein Oberer und kein geschriebenes Gesetz vermag ihn zu lenken. Eine Mannszucht, deren Grundzüge mit strenger Bestimmtheit verzeichnet sind, würde weit mehr leiden, als eine milde, auf etwas außerhalb des Geschriebenen berechnete Disciplin, welche sich auf moralische Grundsätze stützt, und nach dem Bedürfnis des Augenblicks sich entwickelt. Wenn die Sicherheit der Befehlshaber in Gefahr schwebt, und die Armee mit ihrer Auflösung bedroht ist, dann führt dieser gewaltsame Zustand gewaltsame Mittel herbei. Der Offizier tödtet mit eigner Hand den Soldaten, der vor dem Feinde im entscheidenden Augenblick die Flucht ergreift, der zur Unzeit plündert, der nicht gehorcht, der Aufruhr stiftet. Die Ordnung wird durch ein solches Beispiel eher hergestellt, als es durch Urtheilssprüche von Kriegsgerichten möglich wäre. So ist also die französische Disciplin in ihrer Nachsicht und ihrer Strenge auf den National-Charakter gegründet; sie ist eine praktische Wissenschaft, welche die Ereignisse erzeugt und ausgebildet haben, und welche durch sie aufrecht gehalten wird.

Der Geist der Armee, und ihre Taktik, im ausgedehntesten Sinne des Worts, sind auf’s innigste mit einander verbunden, und gründen sich beyde auf den National-Charakter; sie unterstützen und ergänzen sich gegenseitig. Mit einer anderen Nationalität würde der Geist der Armee und die Taktik ganz anders gewesen seyn, weil beide aus ihm abgeleitet sind. Der Inbegriff beider macht das neue Kriegssystem aus. Dieses System, so wie es jetzt ausgebildet da steht, ist, eigentlich zu sagen, nicht ds Werk eines einzigen Kopfs; Carnot’s Genie ahndete es, als er die Grundlage zu ihm durch seine große taktische Ansicht legte, aber mit allen den Erweiterungen und Bestimmungen, die das System seitdem erhalten hat, ist es nicht Carnot’s Werk! sondern, so betrachtet, ist es die Wirkung der Umstände und das nach und nach aus den Kriegsversuchen und der jahrelangen Erfahrung hervorgegangene Resultat. Als der Mangel an Zelten die französische Armee nöthigte, die erste Nacht auf dem Bivack zu bleiben, ahndete man bey weitem nicht, daß diese Art des Campirens eine der eigenthümlichen Bestandtheile der Taktik des Jahrhunderts werden, und den Grund zum System der Winterfeldzüge legen würde. Als man die ersten französischen Bataillone halb nackt ins Feld stellen mußte, dachte man noch nicht daran, in der Folge alle vom Auslande kleiden zu lassen, und das schreckliche System der Requisitionen darauf zu gründen.

Eben so ist das neue System auch nicht an das Daseyn eines einzigen Kopfes geknüpft, es ist nicht das Geheimnis eines einzigen Mannes oder einiger Individuen. Der Tod eines Feldherrn, der Tod von zehn Generalen, selbst der Tod des Staatsoberhauptes würde nicht den Untergang des Systems nach sich ziehn. Der Geist und die Taktik der Armee leben in den Feldherrn und Generalen; viele Befehlshaber, Offiziere und Soldaten bewahren sie auf; durch den Krieg gezeugt und erzogen, machen sie mit dem System Eins aus, kennen sei kein anderes, und sind entschlossen mit ihm zu leben und unterzugehen. Obgleich noch nicht als Reglement niedergeschrieben, pflanzt dieses System sich durch Tradition fort, und lebt durch Gewohnheit in den Köpfen und Herzen derer, die die neue Taktik, in Handlung gesetzt, ausmachen.

Während des ganzen Krieges ist das System dasselbe gewesen, weil die Zwecke, die durch dasselbe zu erreichen waren, die Motive, um derentwillen es gegründet war, so wie die Mittel der Ausführung, die die Revolution gelehrt hatte, unabänderlich dieselben gewesen sind. Auch ist der Krieg und die Art, die Armeen zu führen, im Jahre 1807 gewesen, was sie im Jahre 1792 waren. Mehr als damals ist der Krieg ein System von Einfall- und Ueberziehungsprojecten; mehr wie damals ist die französische Armee jenen Armeen des dreißigjährigen Krieges ähnlich, welche sich über weite Länder wie übergetretene Fluthen ergießen, und ihre Erzeugnisse bis auf die Wurzel aufspühlen. Die Franzosen kommen an ohne Gepäck, ohne Pferde, ohne Munition, ohne Lebensmittel, ohne Kleidung, ohne Geld, und lassen sich von den Völkern, welche sie auf ihren Streifzügen berühren, sie seyen verbündete oder neutrale, befreundete oder feindliche, equipiren, remontiren, bewaffnen, nähren, kleiden, besolden. Allenthalben bemächtigen sie sich der Hülfsquellen der Länder und der Regierungen, und bedienen sich ihrer, um ihre Einfälle gegen die benachbarten Völker fortzusetzen, so daß die Vernichtung der einen die Unterwerfung der andern vorbereitet. Wenn ein Unterschied zwischen Jetzt und Ehemals vorhanden ist, so besteht er darin, daß der Krieg des neunzehnten Jahrhunderts mit mehr Uebereinstimmung und durchdachter Kunst geführt wird; daß er das Resultat des Nachdenkens ist, von allen Einsichten des Zeitalters unterstützt; dahingegen der Krieg des siebzehnten Jahrhunderts nur die Wirkung der damaligen Rohheit war, und auf die Völker weniger lastete, weil er in der Anwendung der Mittel weniger consequent und weniger berechnet war. Wenn man die französische Armee heutiges Tages recht in der Nähe scharf betrachtet, so erscheint sie immer wei eine aus dem Stegreif hingeworfene Armee, in jedem Augenblick bereit, den Krieg aus dem Stegreif zu führen. Sie ist ja so leicht und beweglich, daß ihre Märsche Laufzüge sind. Nichts behindert ihre Bewegungen, nicht ein Mal das Nothwendige. Sie soll von Boulogne nach Deutschland ziehen. Man hatte, um die Demonstration gegen England vollkommen zu machen, der Armee von den Cavalleriepferden nichts als die Sättel gelassen; nicht ein einziges Zugpferd, nicht ein einziger Sack Mehl war vorhanden. Den Grenadieren verspricht man Bärenmützen in Wien, und die Armee bricht auf. Mangelt es ihr an Allem, so besitzt der Einwohner Alles. Noch auf des Vaterlandsboden ziehen die Requisitionen vor ihr her; Lebensmittel und Fütterung kommen ihr entgegen, und befinden sich Wagen, Pferde, Fuhrknechte von Lille, von Brüssel, von Cleve, von allen Orten des Durchzuges im Innern Frankreichs mitgenommen, zu Ulm, zu München, zu Wien.

Diese Grundsätze, die Armee zu verwalten und die Länder, durch welche man sie führt, zu behandeln, müssen natürlicher Weise bey der Untersuchung der Ursachen, welche das Waffenglück der Franzosen bewirken, in Anschlag gebracht werden. Nur die Gesammtheit dieser verschiedenen, moralischen, taktischen, administrativen und politischen Grundsätze machen das neue Kriegssystem aus. Nur weil dieses auf die ganze Nationalität der Franzosen gebaut ist, ist es siegreich gewesen.