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Franz. Armee
Abschnitt III

Die Art der Hebung, der Formirung, der Organisation, die Unterrichtungsweise und die fortschreitende Ausbildung der französischen Armee, alle Umstände mit Einem Worte, vereinigten sich, um ihr die Postengefechte zur Verfahrensregel zu machen. Diese Verfahrungsart entsprach übrigens am besten dem Charakter des französischen Soldaten, wie sie überhaupt jedem Soldaten die willkommenste ist; denn wer je den Krieg mitgemacht hat, weiß, daß das die übrigen Leiden des Kriegers abkürzen heißt, wenn man die Gefechte vervielfältigt, da diese wahre Linderungsmittel und wünschenswerthe Vorfälle in Vergleichung der Witterungswechsel, der forcirten Märsche, der Bivaksnächte, der Entbehrungen an Speise und Trank, des Mangels an äußerlicher Bedeckung, des oft drückenden Wartens, und der tödtenden Langeweile sind, die auf die Menschen im Felde eindringen. Auch sind die großen Entscheidungen weit häufiger durch Ketten von Gefechten, als durch vollständige Schlachten herbeigeführt worden. So hatte der neue Krieg sich in den Niederlanden gezeigt, in Deutschland, in Savoyen und Piemont, in der Lombardei, in ganz Italien; oft haben Postengefechte die ganze Armeefronte hin, drey, vier, fünf, sechs Tage lang gedauert, um den Feind zu einer Bewegung zu bringen. Die große regelmäßige Feldschlacht schien gar nicht im Geist des neuen Systems zu liegen. Wenn indessen gegen diesen Geist die Nothwendigkeit einer allgemeinen Hauptschlacht sich einstellte, so hat man vornehmlich zwey taktische Verfahrensarten wahrnehmen können, deren sich die Franzosen, als schlechte Exerciermeister auf dem Platz, sich als der hauptsächlichsten Ausübungsmittel bedienten, diese heißen umgehen und durchbrechen. Beide paßten sich für eine Armee, die eine Ueberlegenheit an Menschenzahl hatte, und beide entsprangen aus dieser Art von Ueberlegenheit als natürliche Folgen. Man kann eine Armee umgehen, wenn man Menschen genug hat, um zu gleicher Zeit ihre Front-Linie in Athem zu erhalten und sich über ihre Flügel hinaus auszudehnen. Auf flacher Ebene wird jene Armee gezwungen seyn auf mehreren Seiten zugleich die Stirne zu bieten, und wenn sie dies nicht vermag, so muß sie der Zahl unterliegen, und wäre sie die tapferste und die waffengeübteste von der Welt. Hat sie eine feste Stellung inne, so wird sie genöthigt seyn sie aufzugeben, weil keine feste Stellung, sie sey künstlich oder natürlich, sich ins Unendliche hinausdehnt. Die Armee, die die Menge für sich hat, kann die festen Stellungen, wie die Corps der schwächeren Armeen umgehen.

Eine solche Armee kann auch durchbrechen, denn während sie die ganze Fronte ihres Feindes beschäftigt, kann sie ihre Anstrengungen auf den besondern Punkt richten, den sie für schwach erkannt hat; die dünne Linie wird stets von einer  dicken und tiefen Colonne, welche mit Macht auf sie stößt, durchbrochen werden. Die Colonne, welche durchbrochen hat, ist eben dadurch in den Stand gesetzt zu umgehen, denn sie überreicht die durchbrochenen Punkte der getrennten Armee, welche Flügel geworden sind. Sie nimmt ihren Feind in Flanke und Rücken, während dieser sich gleichfalls auf seiner alten Fronte vorwärts vertheidigen muß. Hier ist zu bemerken, daß die Colonne, welche durchbrochen hat, angesehen seyn würde, wie zwischen zwei Feuer genommen, wenn sie schwach und im Vertheidigungszustande wäre; da sie aber in der Ueberzahl ist und den Angriff macht, so vernichtet sie den schwachen Feind, den sie angriff. Der Anführer, der die nöthige Zahl und die erforderliche Kühnheit für diese Manövres hat, wird den Sieg vorhersagen können, er wird die Vernichtung des Feindes sogar sich zum Ziel nehmen und voraus bestimmen können. So thaten oft die französischen Heerführer. Eine Brücke forciren, ist nichts anders als auf einem einzigen Punkt angreifen, um zu durchbrechen. Die Artillerie, die bei Lodi und Arcole ihre Blitze in diese tiefen Menschenmassen schleuderte, welche sich wie Meereswogen vorwärts stürzten, rissen Lücken in sie ein, aber vernichteten sie nicht, denn die Lücken werden ausgefüllt, und derjenige, der das Ausfüllen fortsetzen kann und durchzudringen fest entschlossen ist, wird die Brücke forciren. Die Ueberlegenheit der Volkszahl macht dieses Manövre unfehlbar, sie erlaubt tiefe Schlachtordnungen gegen dünne Stellungen wirken zu lassen, Colonnen gegen Linien. Colonnen sind das Mittel, dessen die Franzosen sich fast durchgehends in ihren Angriffen bedienen, un dies aus mehreren Gründen, die die Natur des Systems an die Hand geben. Der Colonnenangriff bringt den Kampf dem System der Postengefechte näher, indem die Wirksamkeit des Gefechts auf einzelne Punkte sich beschränkt. Der Colonnenangriff hat außer dem Vortheil der überlegenen Stärke der wirkenden Punkte auch den, daß er nicht die Genauigkeit im Manövriren verlangt, welche eine gerade, lang gedehnte Linie bedarf, eine Genauigkeit, welche der Mangel des Elementarunterrichts, oder seine Unvollkommenheit, bei der französischen Armee, unmöglich macht. Die Art, die Colonnen zu brauchen, ist nicht immer dieselbe gewesen. Bei einer Menge Schlachten, welche die Franzosen geliefert haben, waren ihre Colonnen in schiefer Schlachtordnung aufgestellt, so daß sie entweder Echellonartig, oder mit gerichteten Kopfspitzen heranrückten. Die schiefe Stellung ist die geschickteste den Feind zu überflügeln, und ihn in Seite und Rücken zu kommen, aber sie verlangt auch mehr Menschen, weil sie die längere Linie auf die Stellung des Feindes macht.

Diese beyden genannten Hauptmanövres sind seit dem Tage bey Mons angewandt und unaufhörlich bei der französischen Armee wiederholt worden. Sie umging bey Fleurus, Hondscott, bey Montenotte, Piacenza, Hohenlinden, Ulm und Austerlitz; sie durchbrach bey Lodi, Arcole, Marengo, Donauwerth, Auerstädt. So wie das Manövre des Durchbrechens relativ ist, so ist es auch das des Umgehens; das heißt, beyde Manövres sind so beschaffen, daß der glückliche und der unglückliche Ausgang, zwischen dem, der sie übt, und dem, der sie erleidet, gegenseitig getheilt ist; denn die Armee, welche durchbricht, setzt sich in die Lage einer umgangenen Armee. Derjenige, der sich dem Feinde in den Rücken stellt, um ihn abzuschneiden, ist selbst abgeschnitten, wenn der Feind es will und vermag. Häufig haben die Franzosen sich in eine so gefahrvolle Lage versetzt, aber sie haben sie für sich siegreich gemacht, weil in der Absicht der Unterschied besteht. Die Franzosen haben mit Vorsatz die Gefahr gesucht, weil die Manövres, die sie in dieselbe brachte, nothwendige Entwickelungen eines Kriegssystems waren, welches auf der Volksmenge, der Leichtigkeit und dem Nachdruck der Unternehmungen beruht. Es ist unmöglich diese Manövres anzuführen, ohne den General Bonaparte zu nennen. Er erhielt seinen ersten Sieg dadurch, daß er den rechten Flügel des Generals Beaulieu bei Montenotte umging. Er brauchte die aufgeschlossene Colonne, als er bei Lodi und Arcole durchbrach; mit der aufgeschlossenen Colonne schnitt er die Oesterreicher ab, welche im Jahr 1796 aus Mantua herausgekommen waren, und so ward das Schicksal der Festung, des Feldzuges und das von ganz Italien entschieden. Diese taktischen Verfahrungsarten haben unausgesetzt den Charakter der großen Treffen, welche die Franzosen liefern mußten, um auf fester Stelle zu entscheiden, ausgemacht. Für das aufmerksame Auge waren die Treffen im Jahre 1796, wie in 1793, und im Jahre 1807 sind sie gewesen, wie sie 1796 waren. Die Modificationen, welche seitdem etwa eingetreten sind, haben nicht das Wesen des Systems getroffen, dieses ist im Gegentheil befestigt, systematisch vervollkommnet und nach einem colossalischen Maaßstabe entfaltet worden, denn die Grundlage des Kriegssystems ist ja dieselbe geblieben, sie ist befestigt, vervollkommnet und entfaltet worden: diese Grundlage ist, in den spätern, wie in den frühern Zeiten, gewesen: die Ueberlegenheit der Menschenzahl, den Elementarunterricht der Individuen ergänzend, und von einer Taktik höherer Art geleitet.

Man würde vielleicht verlegen seyn, eine von den Franzosen gewonnene Schlacht zu nennen, wo nicht die Volksmenge einen entscheidenden Antheil am Erfolge gehabt hätte; es ist vielleicht schwer, eine Schlacht anzuführen, wo sie, in gleicher Zahl mit den Feinden, den Sieg erhalten hätten. Und es ist hier besonders in Anschlag zu bringen, daß die officiellen Berichte der französischen Generale selten die gleiche Zahl ihrer Streiter, noch seltner ihre Minderzahl für sich anführen. Wer mit Aufmerksamkeit ihre Berichte gelesen hat, wird sich mancher Treffen erinnern, wo selbst nach dem Geständnis der Berichterstatter, frische auf das Schlachtfeld zustoßende Truppen, den Ausschlag gaben. So, um nur Ein Beispiel zu anzuführen, Dessaix bei Marengo. Zu diesem Geständnis kommt auf der andern Seite das Zeugnis aller glaubwürdigen Militäre Europens, welches durch seine Einmüthigkeit ein nicht geringes Gewicht erlangt hat, daß nehmlich in jedem anhaltenden Gefecht, in welchem jede andere Armee alle ihre Streitkräfte ungetheilt und auf ein Mal bis zur Erschöpfung in’s Spiel setzte, die Franzosen die Ihrigen ablösten und ihre Colonnen vor den Augen ihrer Gegner erneuerten oder verstärkten. Bis jetzt haben die Franzosen allein über ihre Feldzüge berichtet und geschrieben; wenn die, die von ihnen besiegt wurden, das Wort nahmen, und wenn genaue Listen von der Stärke der Armeen erschienen, so würde man ohne Zweifel das Uebergewicht der Anzahl in voller Evidenz erscheinen sehen. Indessen ist es durch die That dargethan, daß die Franzosen stets unglücklich waren, wenn sie nicht die Menge für sich hatten, oder wenn sie gezwungen waren, sich vertheidigungsweise mit schwächeren Armeen zu verhalten. Selbst französische Schriftsteller, von denen wir nur Matthieu und Dümas und den General Servan nennen wollen, gestehen dies ein. Der Feldzug von 1799 gegen die Oesterreicher und Russen giebt einen sprechenden Beweis. Die Franzosen unterlagen bei Novi, ohngeachtet des Vortheils der Stellung, weil sie an der Zahl nachstanden. In keinem andern taktischen System, älterer wie neuerer Zeit, war die Menschenzahl als ein entscheidender Vortheil angesehen worden. Im neuen System muß sie das seyn, denn da die Wissenschaft der alten Schultaktik, welche die Stärke der Gegner der Franzosen ausmacht, zu Nichte gemacht worden ist, so stehen die Sachen auf beiden Seiten gleich, und die Menschenzahl fängt an Gewicht zu bekommen.

Indessen gereicht dies keinesweges den Franzosen zum Vorwurf, und das hieße das neue Kriegssystem schlecht würdigen, wenn man seine glücklichen Erfolge der Anzahl, allein und unbedingt, beimessen wollte. Wenn die Anzahl die Basis des Systems ausmacht, so hat sie doch nicht bloß als numerische Masse der französischen Armee das Uebergewicht verschafft, sondern durch die Art, wie man sie zu benutzen gewußt hat, wie man durch sie das, was der französischen Armee an Unterricht und Ordnung abging, zu ergänzen verstanden hat, durch die Kunst aus ihr, allen Systemen zum Trotz, einen entscheidenden Vortheil zu bilden. Man wird vielleicht einzelne Momente anführen wollen, wo die Franzosen nicht überlegen an der Zahl geschienen haben, und so wird man vielleicht die Feldzüge in Italien von 1796 und 97 nennen. Wenn dieses auch für einzelne Auftritte erwiesen wäre, welches es doch nicht ist, so ist es doch wieder wahr, daß in Rücksicht auf Feldzüge, in ihrem ganzen Umfange genommen, die Mehrzahl auf Seiten der Franzosen gewesen ist, und daß in einem Kriegssystem, auf große Kriegstheater berechnet, die Schlachtfelder nicht einzeln genommen werden müssen. Außerdem aber traten die französischen Heerführer immer in den Kampfplatz mit jenem Vertrauen auf ein Rekrutirungssystem, welches Armeen mit derselben Schnelligkeit zu ergänzen und zu schaffen verstand, mit welcher sie vernichtet werden konnten. Alle ihre Untenehmungen waren im Geist eines Systems angelegt und ausgeführt, welches die Menge zur Basis hat, und dies war auch alsdann noch der Fall, wenn die Anzahl nicht numerisch der des Feindes überlegen war. Alsdann geschah es, daß das Genie, vom Geist des Systems durchdrungen, die Minderzahl durch die Kraft seiner Combinationen und die Schnelligkeit, mit welcher er sie in Bewegung setzte, zur augenblicklichen Mehrzahl machte. Er vervielfältigte die Menschen, indem er sie auf jedem einzelnen Punkt durch die Geschwindigkeit, mit welcher er sie dahin versetzte, an der Zahl dem gegenüberstehenden Feinde überlegen machte. Beaulieu, Wurmser, Alvinzi wurden geschlagen und wieder geschlagen, weil man jeden einzeln und getrennt, mit ungetheilten Kräften zu bestürmen wußte, durch Benutzung der Zeit. Und es wird ewig wahr seyn, daß das Directorium, weil es einst einen Augenblick vergessen hatte, die Basis des französischen Kriegssystems müsse stets in der Menge bestehn, Frankreich an den Rand des Abgrundes brachte. Von den vorigen Vortheilen berauscht, überließ diese Regierung sich einer thörichten Sicherheit, und dachte nicht daran, die durch die Expedition nach Aegypten so mächtig geschwächte Armee zu ergänzen. Die Unglücksfälle von 1799 waren davon die Folge.