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Franz. Armee
Abschnitt II

Frühe äußerten sich die Würkungen des neuen Systems. Um das durch Dümouriez verlorene Belgien wieder zu erobern, umfaßte der Plan des Feldzuges, außer dieser Provinz, Holland und einen großen Theil von Deutschland; es leuchtete ein, daß der Rheinstrom von der Schweiz bis in die Nordsee hinab, die Linie war, deren man sich zu versichern gesonnen war. Die innerhalb derselben liegenden Festungen, Valenciennes, Condé, Landrecies, Lequesnoy, verschwanden wie unbemerkbare Punkte auf diesem weiten Kriegsschauplatze, und Luxenburg hörte auf, unüberwindlich zu seyn. Menschen hatte man, um alle diese Plätze zusammen zu umwickeln, um sie von einander abzuschneiden, um alle insgesammt und eine jede besonders von allem Einwürken in die großen vorwärts geworfenen Operationslinien abzuhalten. In diesem Feldzuge war es hauptsächlich, wo die neue Taktik den Charakter einer bewegungsvollen Taktik annahm. Das System der Festungen und der festen Stellungen verlor seine Wichtigkeit; an die Stelle der festen Punkte der alten Taktik, wollte die neue nur bewegliche Punkte gesetzt wissen, von diesen sollte das Geschick der künftigen Kriege abhängen. Die Armeen, diese beweglichen Mauern, entschieden gegen die unbeweglichen Mauern der Festungen. Als im Jahre 1796 die französische Armee in Piemont vordrang, so sollte die Linie, deren eines Ende durch Italien nach Wien zu führen war, dort gleichfalls mit dem andern Ende hinreichen, indem sie ganz Deutschland, wo Jourdan und Moreau sie beschrieben, umziehen sollte. Ceva, Coni und Tortona konnten dem Schicksal von Valenciennes, Landrecies und Condé nicht entgehen: Märsche vertraten Belagerungen. Wer die meisten Menschen hat, kann die meisten Bewegungen machen, und sie in ausgedehnteren Linien ausführen. Die Vertheidigung der unbeweglichen Punkte von stets sich bewegenden Linien umfangen, wird unnütz: die Unbeweglichkeit wird durch die Bewegung besiegt; die Arme unterliegen den Beinen; und die Worte des Marschalls von Sachsen, welcher mit den Beinen seiner Soldaten Schlachten zu gewinnen behauptete, ist in unsern Tagen sehr richtig auf die französische Armee wieder angewendet worden.

Alle Bestandtheile der französischen Armee in den ersten Feldzügen waren auf Bewegung berechnet. Da sah man ganze Regimenter sich als Plänkler zerstreuen, und Armee-Colonnen zogen nur wie Schwärme einher. Die Bataillen-Armee der Franzosen war oft nur eine Armee von Jägern; in ihren Eilzügen war sie von der leichten Artillerie unterstützt, welche die Franzosen mit Recht die fliegende nannten, und die Fuß-Artillerie, welche sich nicht die Schnelligkeit der beflügelten Truppen geben konnte, erschien fast nicht mehr bei der Armee; ehe sie ankam, hatte die fliegende den Ausschlag gegeben. Die ganze französische Cavallerie soltle in leichte Cavallerie verwandelt werden; man sahe nur diese im Felde, und was von der schweren übrig geblieben war, mußte den Dienst der leichten verrichten. Auch erschien ein Decret des National-Convents, welches die Errichtung von 70,000 Mann reitender Jäger, die auf Husaren-Art beritten gemacht, bewaffnet udn equippirt werden sollten, befahl.

Gegen ein solches Kriegssystem konnte die alte, vorsichtige, abwartende Taktik, welche Schritt vor Schritt ihre Positionen berechnete, und ihre Evolutionen zirkelgerecht abmaß, nicht auslangen. Die Menge, welche es aufstellte, und die Geschwindigkeit, mit welcher es sie bewegte, störte alle Ausrechnungen der Methode. Der Schlendrian sah sich durch die Unregelmäßigkeit vernichtet, ihre Absichten waren ihm unergründlich, und ihre Verfahrensarten unbegreiflich. Nirgends fand er die Bataillenfronte, die er suchte und wünschte, aber statt dessen sah er Feinde, welche auf seine Streiter in Flanke und Rücken sich warfen, welche auf allen Punkten sich zeigten und zu allen Augenblicken da standen, bei Nacht wie bei Tage. Nirgends und nimmer war Ruhe vor den sonderbaren Leuten, welche in unaufhörlicher Bewegung ausforderten und neckten, sich Vaterlandsvertheidiger nannten und nach der Marseiller Melodie sangen: Die Erde bringet neue noch hervor. Bei dieser neuen Art Krieg zu führen, wo er in einer unterbrochenen Kette einzelner Gefechte bestand, mußte in die Länge hin der Vortheil unstreitig für die Armee ausfallen, welche die Menge für sich hat, weil sie ihn am längsten aushalten kann. Brave, disciplinirte, kriegerfahrene, und wohl exercirte Soldaten machten hier Milizneulingen Platz, weil sie in Menge heranströmten, und erfahrene Feldherrn verloren ihren Ruhm vor Generalen von gestern her. Clairfayt mit seiner wackern Armee liefert umsonst Treffen in Brabant, um die von seinen Landsleuten besetzten Festungen zu befreyen; französische Massen dringen unter Pichegrü ihm rechts nach Westflandern vor, andere Massen entfalten sich links unter Jourdan; andere wälzen sich dem Rhein zu und drohen, die alliirten Heere mit einer unermeßlichen Linie zu umklammern. Um nicht umringt zu werden, räumt Clairfayt das Schlachtfeld, und die Gegenwart des jungen Kaisers Franz vermag nichts zur Behauptung desselben. Coburg wird bey Fleurus von 80,000 Mann überzogen; 70,000 andere, welche York und Clairfayt weggedrückt haben, rücken heran ihn zu umzingeln; eine andere Armee wirft sich auf Beaulieu und vertreibt ihn aus Namur. Nach jedem Verlust konnten die alten österreichischen Krieger, wenn sie die Verfahrensweise der siegenden Neulinge erwägten, nicht ihre Niederlage begreifen. Bei dem Anblick dieser neuerstandenen Generale, und dieser unsoldatischen Rekruten, welche sich ohne Regel und Ordnung auf den Kampfplatz wagten, klagten sie ihr Mißgeschick an. Sie hätten ihre Verblendung anklagen sollen, welche ihnen die Absichten der hohen Taktik verhehlte, einer Taktik, die die abgemessenen Evolutionen der Paradeplätze verschmähte. Die Gegner der Franzosen hefteten ihre Aufmerksamkeit nur auf das, was in der Nähe geschah, und da schienen ihnen die einzelnen Gefechte der Republikaner sinnlos, ihre abgesonderten Unternehmungen ohne Plan und Regelmäßigkeit, aber diese Tadler hätten ihren Blick weiter richten sollen; diese regellosen Einzelnheiten waren untergeordnete Theile eines großen Ganzen, das in seinem Zusammenhange sehr gut gedacht war und ein Kriegsschauplatz von einem ausgedehnten Horizonte umfaßte. Es kam hier nicht darauf an, wie die Unternehmungen einzeln auf dem Schlachtfelde ausgeführt wurden, sondern daß ihr Resultat dem beabsichtigten Zwecke der hohen Taktik entsprach, welche in der Entfernung, und außerhalb des Kanonenschusses würkte. Die Gegner der Franzosen, welche diese übel manövriren sahen in den Gefechten, und sich in der Schulwissenschaft weit überlegen fühlten, bestanden darauf durch diese siegen zu wollen: aber durch diesen Irrthum machten sie ihre Niederlage fortdauernd. Die Schwäche der Franzosen auf dem Paradeplatz machte die Stärke ihres Systems aus. Um dieses mit Erfolg zu bekämpfen, hätte man den ausgefahrnen Weg des Herkommens verlassen müssen, man hätte den Außergwöhnlichen etwas Außergewöhnliches, den neuen Mitteln, neue, große, kühne, kräftige Mittel, man hätte mit Einem Worte einer hohen Taktik eine noch höhere entgegensetzen müssen. Die Oesterreicher haben in mehr denn Einem Feldzuge bewiesen, daß sie die Tendenz des neuen Systems wohl gefaßt hatten, aber es fehlte ihnen an Kühnheit in der Ausführung und an Größe in den Mitteln. Souworoff verband beides; er erschien, und die Franzosen unterlagen.

Das Neue und Ungewöhnliche macht immer die Alltagsköpfe betroffen, und verschafft dem, der sich desselben bedient, eine entschiedene Ueberlegenheit. Während die Gegner der Franzosen für jeden eingetretenen Fall, ihre Manövrir-Reglements aufschlugen, ihre Bataillenplane und Charten aufrollten, verfuhren die Franzosen oft allen taktischen Grundsätzen, wären sie auch als unangreifbare Glaubensartikel angesehen, zum Trotz. War der Tag zu einem Gefecht angekommen, so fragten sie nicht, ob ihre Flanken schulgerecht gedeckt, ob ihre Communicationen gewissenhaft gesichert waren; oft gaben sie Blößen und vernachlässigten Punkte, die nach den Regeln der Kunst dem Gegner wesentlich erschienen. Und doch blieb den Franzosen das Feld. Dieß geschah, weil sie mit dem Vortheil der Menge, alle ihre Fehler gut machen, ihre Communicationen herstellen und ihre Flanken retten konnten, oder weil sie auf einem andern Punkte, während sie einen Preis gaben, mit Macht durchdringen wollten; und weil am Ende ihre Anführer weder den Willen, noch die bei andern Heeren geltende Verbindlichkeit hatten, Menschen zu schonen. Bei solchen Grundsätzen verschafften die Franzosen sich immer den Vortheil des Angriffs, einen Vortheil, welcher nicht zu berechnen und oft entscheidend ist, denn außer daß der systematische Feind sich durch die, außerhalb seiner Berrechnung liegenden, Combinationen außer Fassung gebracht fühlt und der Kühnheit Unentschlossenheit entgegensetzt, flößt der Gedanke des Zuvorkommens dem Angreifenden eine moralische Ueberlegenheit ein und erhebt wunderbar seine Seele durch das Vertrauen in den glücklichen Ausgang.

Durch diese Wahrnehmungen, welche die tägliche Erfahrung bewährte, geleitet, gründeten die Franzosen eine Lehre, welche man die Theorie des Unmöglichen nennen könnte. Immer das Gegentheil von dem zu thun, was bis dahin bei andern geschehen war und noch geschah; immer zu wählen, was das schwerste in der Ausführung war; die Unternehmung vorzuziehen, die die furchtsame Schultaktik der Gegner verwarf, oder unmöglich glaubte, darin bestand die neue Theorie der Franzosen. Sie war mit Menschenkenntniß auf die Schlaffheit des Zeitalters berechnet. Wenn die Franzosen allen Grundsätzen der Kunst, und allen physischen und moralischen Schwierigkeiten entgegen handelten, so hatten sie den Feind schon besiegt, denn er weigerte sich an das zu glauben, was die Regeln der Schule und die gewöhnliche Klugheit zu unternehmen mißriethen. Wenn die Franzosen alles auf’s Spiel setzen, so waren sie versichert, bei ihren ungläubigen Gegnern keinen Widerstand anzutreffen. Um zu siegen, mußte man nur Staunen setzen, daher war es bei der französischen Armee, wie einst Montecuculi Geld, und Geld, und Geld zur Bedingung des Sieges machte, zum Wahlspruch gemacht: Man brauche Kühnheit, und wieder Kühnheit, und immer Kühnheit. Seit dieser Epoche waren militärische Unternehmungen, welche bis dahin für außerordentlich waren gehalten worden, nichts mehr als gemeine Vorfälle; was in der Kriegskunst bis dahin selten gewesen war, ward gewöhnlich; was wunderbar gewesen war, ward alltäglich. Ueber Flüsse gehen, übergehen und zwar im Angesicht des Feindes und am hellen Tage; über Gebirge mit Cavallerie und Geschütz ziehen; Brücken aufschlagen und über sie vorstürmen unter dem feindlichen Feuer; diese Operationen wiederholten sich, als wären sie die gewöhnlichsten und leichtesten gewesen. Der Uebergang über den Rhein, durch Ludwig XIV. ausgeführt, ist durch ein öffentliches Denkmahl in Paris verewigt; im neuen Kriege sind die Rheinübergänge ohne Zahl gewesen, und sie erhielten höchstens die Ehre etwa eines Zeitungsartikels. Es giebt keinen Fluß in den Ländern, die der Krieg heimgesucht hat, über den nicht die Franzosen gegangen wären; man müßte alle Flüsse Deutschlands und Italiens, und fast alle des größten Theils des Continents nennen. Die neue Armee liegt zu jeder Jahrszeit und in jedem Clima unter freiem Himmel; die Winterfeldzüge sind Regel geworden; in Gebürgen geht der Soldat durch Schnee bis unter die Achseln; er watet durch Bäche bis an die Brust im Wasser, Flinte und Patronentasche über den Kopf emporhaltend; Schwimmer sind nöthig: Moreau befiehlt, und der Sieg bei Hohenlinden wird durch sie eingeleitet. Nichts, was Menschen möglich ist, wird unversucht gelassen. In den Lüften unterstützen Aerostate und Telegraphen die Absichten der Armee, und den Zufall fesselt die Kühnheit.

Dieser Theorie des Unmöglichen verdanken die Franzosen die größten Siege, ihre Feinde haben ihr die größten Niederlagen, Europa die unglaublichsten Begebenheiten beizumessen. Die Brücke bei Feldkirch, die Teufelsbrücke in der Schweiz; die Brücken bei Lodi, bei Arcole, bei Donauwerth haben zur Entwicklung diese Theorie gedient; der Cenisberg, der Bernhardsberg, der Simplon, die Pyrenäen, alle Alpen, die Appennine, die Gebirge des Tyrol haben zu ihrer Verherrlichung beigetragen. Im Jahre 1797 nimmt der Wiener Hof den Frieden an, den der General Bonaparte ihm anbietet, weil die Nähe einer Armee Schrecken einflößt, die, weil sie das Unmögliche gewagt hat, sich in der furchtbaren Nothwendigkeit befindet, noch mehr zu wagen. Melas ward bei Marengo überwunden, weil er an den Zug einer Armee über die Gebirge, ohne Magazine, mit Cavallerie, mit Geschütz, weil er an die Existenz der Reservearmee nicht glauben wollte. Mack hielt sich noch für unangreifbar bei Ulm, als die Franzosen, ihm auf den Flanken und im Rücken, schon seinen nahen Untergang eingeleitet hatten. Daß Hannibal, der einst mit Elephanten über die Alpen zog, daß Cäsar, der über den Rhein eine Brücke schlug und abbrach, bloß um mehr zu thun, als er brauchte [Fußnote des Autors: Caesar de bello gallico IV. XVIII. XIX.], daß alle große Männer der Vorzeit die Theorie des Unmöglichen übten, das war dem kraftlosen Geschlecht des neuesten Jahrhunderts nur als Schulkenntniß gegenwärtig, und sollte wieder seinen Kindern bei der Sprachübung vorgebracht werden.

Eine solche Theorie ist die Einleitung in den Sieg für den einen Theil, die Vorbereitung zu Niederlage für den andern: bei den Soldaten der gegen die Franzosen streitenden Armeen hat sie die niederschlagende Voraussetzung einer ihnen gegenüber stehenden unübersteigbaren Ueberlegenheit an Kräften und Hülfsmitteln hervorgebracht. Eine solche Theorie bedarf natürlicher Weise, um durchgesetzt zu werden, der Menschenmenge, denn, wenn man das Loos der Armeen an jene nicht zu berechnenden Unternehmungen knüpft, so muß man gewiß seyn, sie im Falle des Mißlingens wieder ersetzen zu können. In unsern Tagen hat das Vertrauen in die Ueberzahl sie eingegeben. Indessen, wenn diese Theorie ohne die Menge nicht statt haben konnte, so war es immer doch möglich die Menge ohne sie zu führen. Mit der Zahlüberlegenheit allein würde man bei weitem nicht diese Theorie siegreich gemacht haben, denn dies ist nicht eine Kunst, welche sich auf Grundsätze zurückführen und wie eine System lehren läßt. Nur das Genie erkennt die Mittel der Ausführung, und die Eingebungen des Augenblicks zeigen sie ihm an auf der Stelle, wo es gilt. Solche Eingebungen konnten nur Generale erhalten, die weder Geburt, noch Dienstalter, sondern ihr Talent zum Gewerbe berief. Aber Genie kann weder nachgeahmt, noch gelehrt werden. Wer wollte die denkwürdigen Unternehmungen, mit welchen die Franzosen mehr wie ein Mal in Italien die Oesterreicher tödtlich trafen, der Nachahmung zu Vorbildern aufstellen? Lassen sich der Uebergang bei Lodi, die Eilmärsche im Jahre 1796 gegen Quosdanovich, Wurmser, Alvinzi, Provera, welche eben so viel Siege waren, als taktische Operationen empfehlen? das Herabsteigen der Franzosen im Jahre 1797 in die Flächen von Deutschland, den Tyroler Gebürgen in ihrer Flanke zum Trotz; der Zug der Reserve-Armee im Jahr 1800 nach Marengo; der Zug nach Oesterreich und Mähren im Jahr 1805, mitten durch feindliche Länder, wo der Rückzug schwer oder unmöglich gewesen wäre; sind diese Thaten als Regeln für die Kriegskunst zu benutzen? Wer kann für sie einen Gewinn aus der Begebenheit ziehen, wo der General Bonaparte von einer Ueberzahl Oesterreicher bei Lonada eingeschlossen, sie das Gewehr zu strecken zwingt? ... Das Glück rechtfertigt die kühnen Conceptionen des Genies, die Geschichte feyert sie, aber die Wissenschaft darf sie nicht lehren.